Wir leben in einer Welt, in der der Gesellschaftstanz derzeit sehr eingeschränkt oder gänzlich verboten ist. Aber bevor wir dort gelandet sind, haben Kizomba und die verwandten Tänze Kizomba Fusion und Urban Kiz es geschafft, in nur wenigen Jahren die Welt zu erobern. Hier ein Erklärungsversuch zu diesem Phänomen.
Kürzlich wurde mir klar, dass ich meine ersten Kizomba-Schritte 2011 oder 2012 an einer Strand-Party irgendwo in Südfrankreich in der Nähe von Antibes gemacht habe. Ich war sofort verzaubert von diesem für mich damals fremdartigen Tanz und machte sofort beim Crash-Kurs für Touristen mit. Ein paar Monate später habe ich im Salle Grenette in Fribourg meinen ersten richtigen Workshop absolviert und habe dann sofort einen Kurs angefangen. Richtig Kizomba gelernt habe ich auf den internationalen Festivals und sehr oft auch allein oder zu zweit zu Hause. Seit März 2015 unterrichte ich nun ununterbrochen – also demnächst bald einmal 6 Jahre.
Die internationalen Kizomba-Festivals sind ein Phänomen: um 2010 gab es in Europa vielleicht nur 3 bis 5 Festivals pro Jahr. Ab dem Jahr 2015 schossen diese mehrtägigen Tanz-Events wie Pilze aus dem Boden. Paris, Stuttgart, Genf, Madrid, Warschau, Prag, Amsterdam, Tokio, Sydney, Bangkok, Los Angeles, etc. etc. Der Siegeszug rund um die Welt war nicht mehr aufzuhalten.
Was sind die Gründe, weshalb Kizomba innert weniger als einem Jahrzehnt die Welt erobert hat? Ich picke hier einige Fakten heraus, die dies erklären könnten.
Die Musik
Zunächst einmal haben wir die Musik. Als sich Kizomba ausserhalb Angolas, anderer PALOP-Länder und Portugals zu verbreiten begann, war die Musik ein grosser Teil dessen, was Kizomba populär machte. Aber ich glaube, was sich richtig in unseren westlichen Ohren festsetzte, war der Ghetto Zouk. Künstler wie Nelson Freitas, Mika Mendes, Kaysha, Anselmo Ralph und viele andere schufen einen Weg zuerst zu den europäischen Tänzern und dann nach Nordamerika und in den Rest der Welt. Es war eine sehr angenehme und leicht zu hörende Musik, die auch dem Klang des RnB, an den wir bereits gewöhnt waren, ähnlicher war. Ghetto Zouk ist natürlich nicht mehr echte Kizomba-Musik, aber Ghetto Zouk machte den Weg frei für Kizomba und alles was danach folgte.
Das ist ein berühmtes Ghetto Zouk-Lied von Mika Mendes, Magico (2011)
Der Tanz
Die zweite ziemlich offensichtliche Sache ist natürlich der Tanz - er ist anders. Er ist näher als Salsa, sehr sinnlich und anders als Bachata. In gewisser Weise dem Tango ähnlicher, mit einer engen Umarmung, aber vielleicht nicht so streng in der Art wie der Tango. Der Kizomba-Tanz ist freier und lässt viel Freiheit in der Art und Weise, wie man seine Schritte macht und mit der Musik spielt. Er wird weder auf 1 noch auf 2 getanzt und es ist frei, so zu schreiten, wie man es will. Es gibt keine strengen Muster, denen man folgen muss.
Und ich glaube, in den Anfangszeiten des Kizomba-Booms – also vor rund einem Jahrzehnt - sah es auch nicht sehr kompliziert aus. Es sah nicht so aus, als wäre Kizomba schwierig zu tanzen. Die Leute sahen zu und dachten: die Musik ist cool, der Tanz ist innig und sieht nicht schwer aus. Das will ich auch probieren! Bei mir persönlich war das jedenfalls so.
Ich glaube also, dass die Einfachheit des Tanzes und die Harmonie und Innigkeit in der Verbindung des Tanzpaares ein grosser Teil des Welterfolgs von Kizomba ausmachen.
Sensual Kizomba Cyméone and Tabara (2012)
Soziale Medien
Als Kizomba begann die Welt zu erobern, waren soziale Medien (Facebook, YouTube etc.) bereits Mainstream. Ich weiss, dass viele Leute Kizomba zum ersten Mal auf YouTube gesehen haben. Viele von ihnen sahen sich ein berühmtes Video mit Sara & Albir an. Ich auch. Ich werde nie vergessen, wie ich das elektrisierende Video immer und immer wieder angeschaut habe und mir wünschte: Das will ich auch! Viele Kizomba-Künstler haben die sozialen Medien und Videos zur Werbung genutzt, und es gibt viele Videos mit Millionen von Aufrufen.
All diese Videos haben dazu beigetragen, Kizomba berühmt zu machen und in der ganzen Welt zu verbreiten. Auch wenn viele der Videos nicht die authentische Kizomba zeigten, trugen sie dazu bei, den Tanz in der ganzen Welt zu verbreiten.
Albir und Sara – das Video, das Millionen verzauberte (2011)
Die Flucht
Dann gibt es noch etwas mehr, das man in vielen Gesellschaftstänzen, finden kann. Ich nenne das "die Flucht".
Vielleicht hast du es selbst erlebt - das Gefühl, ganz präsent zu sein, alles andere zu vergessen. Es gibt keine Probleme mehr auf der Welt. Was auch immer dich beschäftigt, es ist in dem Moment weg, in dem du anfängst zu tanzen.
In gewisser Weise ist es eine Flucht aus unserem Leben in eine Traumwelt des Tanzes. Es ist wie ein Urlaub von Problemen und an einen Ort ohne Sorgen zu gehen. Es ist ein bisschen wie Meditation, vollkommen präsent zu sein, im Hier und Jetzt.
Heute werden wir mit Informationen bombardiert, die Medien füllen uns mit Gedanken an Dinge, die wir fürchten müssen. Kriege, Terrorismus, die Pandemie, die Wirtschaftskrise und vieles mehr. Und dann können wir alle unsere eigenen persönlichen Sorgen und Probleme im Leben haben. Der Tanz bietet eine vorübergehende Flucht vor all dem, und Kizomba ist einer der Tänze, bei denen man diese Flucht erleben kann.
Die Hormone
Kizomba hat etwas an sich, das süchtig macht. Wenn wir in der Nähe von jemandem sind, wenn wir Berührung auf unserer Haut erfahren, setzen wir zusätzlich zu dem Dopamin, das wir beim Tanzen freisetzen, ein Hormon namens Oxytocin frei. Dieses Oxytocin wird als "Kuschelhormon" oder Wohlfühlhormon bezeichnet und sorgt dafür, dass wir uns gut fühlen. Es kann sogar das Gefühl der Depression verringern. In nur 20 Sekunden des Umarmens beginnen wir es freizusetzen. Stelle dir vor, was stundenlanges Tanzen mit Kizomba bei uns bewirken kann.
Ja, ich glaube, dies ist ein weiterer Grund, vielleicht einer der wichtigsten, warum Kizomba populär wurde. Ich glaube, die Menschen brauchen das heute. Wir haben heute durchs Internet massenhaft Kontaktmöglichkeiten und so mehr Verbindungen in der ganzen Welt. Aber das sind schwache Bindungen. Das sind nicht die starken Banden, die wir im Leben brauchen. Und diese Verbindungen sind nicht physischer Natur. Wir müssen anderen Menschen nahe sein, physisch, oder wir werden unglücklich. Kizomba gibt uns diese Möglichkeit. Sie hilft uns, dieses Hormon freizusetzen, und sie gibt uns ein gutes Gefühl.
Fazit: Kizomba macht uns glücklich, sorgt für physische und psychische Gesundheit und stärkt das Immunsystem.
Inspiration und Quelle: Als Inspiration dieses Textes dienten
Angaben und Veröffentlichungen von Kristofer Mencák